Quantcast
Channel: Night on Earth – Berlin Street
Viewing all articles
Browse latest Browse all 19

Leere Nacht

$
0
0

Am Taxistand. Im Radio läuft Discomusik der 70er Jahre, Black is black. Mir ist nie aufgefallen, dass das Schlagzeug in diesem Stück eine so wichtige Rolle spielt, fast steht es im Vordergrund. Ich schalte aus. Nicht wegen des Schlagzeugs, das gefällt mir ja.
Schlagartig kommt die Stille in meinen Wagen. Es ist Nacht. Mitten in Berlin, eine ruhige, breite, leere Straße. Mein Tagfahrer wünscht sich das sicher manchmal, wenn er hier im Stau steht.

Durch das geschlossene Fenster kommt kein Geräuschteppich aus Motorenlärm rein, nur die ein, zwei Autos pro Minute hört man, dann ist es wieder still. Lautlos dreht sich die beleuchtete Litfaßsäule, die keinen Feierabend kennt. So wie auch die Ampel, die im langsamen Rhythmus immer und immer wieder ihre bunten Lichter an- und ausschaltet. Die Säule, das Rot-gelb-grün, die zuckende Neonreklame der Spielhalle stehen im totalen Gegensatz zur leeren Straße. Der blanke Asphalt sieht aus wie ein ruhiger Fluss, der gemächlich durch die Stadt fließt. Auf seiner glatten Oberfläche tanzen ein paar Blätter im Kreis. Sie genießen den vielen Platz und dass kein Auto sie durcheinander wirbelt.
Eigentlich müsste der Herbst schon viel weiter sein. Aber Ende Oktober sind die meisten Bäume noch voller Laub, auch wenn es schon grau geworden ist.

So fühle ich mich auch. Herbst, grau, leer. Die nächtliche Straße ist ein Spiegelbild meiner Seele. Niemand, den ich jetzt anrufen könnte, ein paar Minuten reden, einfach so. Keine Vertrautheit. Am Imbiss mit den anderen Taxifahrern wird nur über Fußball diskutiert. Auch die Kollegen sind einsam.

Eine dunkle Gestalt kommt näher, schaut in jeden Mülleimer, zieht irgendwas raus und packt es wieder rein. Der Mann ist höchstens 25, sieht nicht aus wie ein Klischee-Obdachloser. Es kann jeden treffen. Als er direkt neben dem Taxistand ist, öffne ich das Fenster und reiche ihm meine Halbliterflasche für den Pfand, dazu ein 2-Euro-Stück, “Alles Gute noch!” Er schaut mich ungläubig an und bedankt sich mit einem Lächeln, als wäre ich der Weihnachtsmann persönlich. Es ist wohl eine große Ausnahme, dass er so “viel” bekommt.
Es geht mir gut, das merke ich wieder. Auch wenn ich mich nicht so fühle.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 19